Wochenendseminar 2014

Physik trifft Volkswirtschaftslehre 2014

Beim erstmaligen interdisziplinären Wochenendseminar „Physik trifft Volkswirtschaftslehre” vom 21. bis 23. März 2014 trafen sich über 50 Studierende, DoktorandInnen und WissenschaftlerInnen im Institut für Chemie und Biologie des Meeres der Universität Oldenburg. Es diente dazu, den Austausch und gegenseitiges Verständnis von Ökonomie und Physik zu fördern und zu erarbeiten, wie eine interdisziplinäre Zusammenarbeit in Bezug auf Energiethemen aussehen kann. Ein weiterer Fokus lag in der kritischen Reflexion, ob und wie physikalische Modelle in die Volkswirtschaftslehre übernommen werden können.

>> Zur Einladung auf der Webseite der jDPG.
>> Bericht in Physik Journal 13 (2014) Nr. 7, S. 64.

junge Deutsche Physikalische Gesellschaft Wissenschaftliche Arbeitsgruppe nachhaltiges Geld Vereinigung für Ökonomische Ökonomie Fachverband Sozio-Ökonomische Systeme der Deutschen Physikalischen Gesellschaft Institut für Chemie und Biologie des Meeres, Universität Oldenburg Universität Oldenburg


Newtonsche Mechanik: chaotisches Doppelpendel
CC-BY-SA 3.0, 100Miezekatzen

Nach einer Begrüßung begann der Vortrag von Prof. Dr. Sylvie Geisendorf (ESCP Europe Berlin, Umweltökonomik und Allgemeine Volkswirtschaftslehre, Folien als PDF), in dem sie eine „Einführung in die Entwicklung des ökonomischen Denkens” und seine Geschichte vom Merkantilismus bis heute gab und auf die gegenseitige Beeinflussung von VWL und Physik einging. Sie erläuterte den Einfluss der Newtonschen Mechanik auf die Herausbildung der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie – jedoch mit der wichtigen Anmerkung, dass oft keine vollständigen ökonomischen Bewegungsgleichungen angegeben würden, sondern ausschließlich die Gleichgewichtslage und ihre lokale Stabilität betrachtet würde. Komplexes chaotisches Verhalten, multiple Gleichgewichte oder auch die Zeitentwicklung eines Zustands würden in der komparativ-statischen ökonomischen Betrachtung ausgespart, obwohl sie in der Mechanik gängig sind. Die Volkswirtschaftslehre bleibe so die Erläuterung schuldig, unter welchen Bedingungen der Gleichgewichtszustand erreicht wird, in welcher Zeit und welche Kräfte dafür verantwortlich sind. Dies zeige ein gravierendes Defizit der neoklassischen Gleichgewichtstheorie gegenüber der Newtonschen Mechanik. Hinzu kämen weitere Fragwürdigkeiten in Bezug auf die Betrachtung menschlichen Verhaltens: Aus der ursprünglichen Annahme eines rational entscheidenden Agenten („As-If”) sei mit der Zeit ein unhinterfragtes Axiom („It is”) geworden. Zudem werde die Aggregation mittels der Annahme eines repräsentativen Agenten umgangen. In der Physik zeigen Vielteilchensystemen neue Eigenschaften, welche im einfachsten ökonomischen Konzept des repräsentativen Agenten nicht auftreten können und erst mit dem Aufkommen agenten-basierter Modelle beschrieben werden kann.
Die Thesen des Vortrags wurden kontrovers diskutiert, R. Mahnke und J. Kaupuzs haben einen Kommentar zu den von Frau Geisendorf vorgestellten physikalischen Bewegungsgleichungen verfasst.


Dampfmaschine zu Beginn der Industrialisierung
CC-BY-SA 3.0, L.Kenzel

Der anschließende Vortrag von Prof. em. Dr. Reiner Kümmel (Universität Würzburg, Theoretische Physik, Folien und Transkript als PDF) setzte sich mit „Energie, Entropie & Wirtschaftswachstum” auseinander. Aus der Thermodynamik begründete er zunächst theoretisch die Bedeutung von Energie und Entropie für sämtliche Produktions- und Transportprozesse und erklärte, dass die bemerkenswerte Produktionssteigerung seit der Industrialisierung auf der Umwandlung von Energie in Maschinen und Motoren basiert. Die neoklassische Theorie ignoriere die Bedeutung von Energie als Produktionsfaktor jedoch und schreibe das Wachstum einem immerwährenden, unerklärlichen technischen Fortschritt zu. Er erläuterte, dass Energie wegen der geringen Faktorkosten von etwa 5% in OECD-Ländern als unmaßgeblich betrachtet wird, weil die Gleichgewichtstheorie unter der Voraussetzung kompetitiver Märkte mit abnehmendem Grenznutzen und konstanten Skalenerträgen davon ausgeht, dass die Produktionselastizität der Produktionsfaktoren gleich ihrer Faktorkosten sei. Hierbei seien allerdings Restriktionen wie die Grenzen der Automatisierung und die Limitierung des Energiedurchsatzes durch einen gegebenen Kapitalstock unberücksichtigt, sondern stattdessen eine beliebige Kombinierbarkeit der Produktionsfaktoren angenommen. Die von ihm und Kollegen durchgeführten ökonometrischen Analysen zeigten hingegen, dass die Produktionselastizität von Energie mit zwischen 0.35 und 0,7 wesentlich höher angesetzt werden müsse und damit deutlich über den Faktorkosten. Dies belege die Bedeutung von Energieumwandlung und die möglichen Auswirkungen von Energieknappheit.


Stoffstromanalyse
aus: Beckenbach, Hofmann.

Um „Energie- und Stoffstromanalyse in Volkswirtschaften” ging es im Vortrag von Mathieu Saurat (Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Forschungsgruppe Stoffströme und Ressourcenmanagement), der das Konzept der Industrial Ecology vorstellte, bei dem versucht wird, Industriesysteme ähnlich wie Ökosysteme als geschlossene Kreisläufe zu gestalten. Anhand der Ressourcenflüsse kann die Ressourcenabhängigkeit einer Wirtschaft untersucht und dargestellt werden. Dipl. Oec. David Hofmann (Universität Kassel, Umwelt- und Verhaltensökonomik, Folien als PDF) folgte mit einem Vortrag über „Agentenbasierte Modellierung und Stoffstromanalysen”. Hier kann die Interdependenz der Akteure entlang von Stoffstromketten analysiert werden. Dies erlaubt, rechtliche, ökonomische wie technologische Aspekte in die Analyse einzubeziehen. Die Simulationsergebnisse der Modelldynamik können anhand von ökonomischen und ökologischen Indikatoren bewertet und der Einfluss einzelner Faktoren wie Preisen oder rechtlichen Rahmenbedingungen bestimmt werden.

In ihrem Vortrag „Resilienz komplexer Systeme” erläuterte Prof. Dr. Ulrike Feudel (Universität Oldenburg, Institut für Chemie und Biologie des Meeres, Theoretische Physik / Komplexe Systeme) zunächst die Grundlagen komplexer Systemdynamik. Sie erklärte den Unterschied zwischen technischer und systemischer Resilienz, wobei letzterer Begriff Anpassungen und neue Gleichgewichte zulässt, solange die Systemfunktion gewährleistet ist, während ersterer die Rückkehr in den Ausgangszustand beschreibt. Eine Störung führe dann nicht zu einem Zusammenbruch, was letztlich zum Begriff der Nachhaltigkeit gehört. Sie erläuterte wichtige Einflüsse auf die Resilienz: Hierzu gehört die Topologie der Netzwerkstruktur sowie Modularität und Redundanz. Für die systemische Resilienz kommt die Anpassungsfähigkeit hinzu, die zu selbstorganisiertem Verhalten und zu Übergängen zwischen unterschiedlichen Zuständen („regime shift”) führen kann. Als besonders wichtig und gegensätzlich zur Annahme eines repräsentativen Agenten stellte sie die Heterogenität heraus: Synchronizität sorge bei Ökosystemen schnell zum Zusammenbruch. Sie ging auf die Übertragbarkeit der Betrachtung von Ökosystemen auf ökonomische Systeme ein, wobei festgestellt wurde, dass die komplexen Systeme bisher vor allem allgemeine Aussagen über Systemverhalten auch in der Wirtschaft treffen, aber die für viele Analysen notwendigen exakten Gleichungssysteme in realen ökonomischen Systemen nicht existieren und sie daher schwer analysierbar sind.


Beim Workshop

Im anschließenden Workshop „Interdisziplinäre Zusammenarbeit von Physik & Volkswirtschaftslehre” wurden Erkenntnisse und weitere Schritte diskutiert. Hierbei wurde die Notwendigkeit betont, eine gemeinsame Sprache zu finden um Verständigung überhaupt zu ermöglichen. Hierbei stellte sich allerdings auch heraus, dass ökonomische Begriffe wie „Macht” nicht eindeutig definiert sind.

Zukünftige inhaltliche Fragen wurden beispielsweise im Bereich Klima, Energie- oder Wasserwirtschaft identifiziert, die unmittelbar mit physikalischen Prozessen verbunden sind. Dies schließt auch die Frage ein, ob weiteres Wirtschaftswachstum ohne Steigerung des Ressourcenverbrauchs bzw. der Emissionen überhaupt möglich sein kann.

Auf Seiten der Methodik wurden weitere Forschungsgebiete genannt, bei denen physikalische und volkswirtschaftliche Modelle voneinander profitieren können. Die betrifft beispielsweise Spieltheorie, evolutorische Ökonomik oder Netzwerktheorie, aber auch die Frage, wie mit der Aggregierung in Vielteilchensystemen der Physik umgegangen wird im Verhältnis zur Makroökonomik. Es stellte sich heraus, dass die Physik „einfach” ist im Vergleich zur VWL, die menschliches Verhalten beschreiben muss. Insbesondere sind Experimente leichter und eindeutiger reproduzierbar durchführbar.


Energieversorgung

Unter den TeilnehmerInnen bestand große Zustimmung zur Idee, dem erstmaligen Treffen weitere folgen zu lassen. Damit besteht die Chance, dass sich die Befürchtung eines des Teilnehmer, „wenn Physik auf VWL trifft, trifft Arroganz auf Ignoranz”, auch zukünftig nicht bewahrheitet.

Johannes Kruse, Oliver Richters und Sebastian Wunderlich

Literaturempfehlungen

Organisation:

Das Wochenendseminar wurde organisiert als Kooperation der jungen Deutschen Physikalische Gesellschaft, der Lehrstühle „Theoretische Physik / Komplexe Systeme” von Prof. Dr. Ulrike Feudel (Institut für Chemie und Biologie des Meeres, Universität Oldenburg) sowie „Produktion und Umwelt” von apl. Prof. Dr. Niko Paech (Institut für Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftspädagogik, Universität Oldenburg), der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe nachhaltiges Geld, der Vereinigung für Ökologische Ökonomie und dem Fachverband Sozio-Ökonomische Systeme der DPG. Der Workshop wurde finanziell unterstützt durch die Universitätsgesellschaft Oldenburg.

Unterstützer

Fachschaft des Studiengangs Sustainability Economics and Management
Universitätsgesellschaft Oldenburg Netzwerk Plurale Ökonomik