Kapp-Forschungspreis 2016 für Christian Arndt

Kapp-Forschungspreis 2016 für Christian Arndt

Im Rahmen der Jahrestagung der VÖÖ wurde am Freitag, den 14. Oktober 2016 am Umwelt-Campus Birkenfeld der Kapp-Forschungspreis für Ökologische Ökonomie 2016 an drei Wissenschaftler verliehen.

Pressemitteilung

Der Volkswirt Christian Arndt erhielt ein Preisgeld in Höhe von 1.500 Euro für seine an der Universität Leipzig verfasste Masterarbeit „Elemente einer heterodoxen Wachstumskritik – Die marxistische Perspektive auf die sozial-ökologische Krise“. Die Arbeit unternimmt den Versuch, Wachstumskritik und marxistische Theorie miteinander in Einklang zu bringen. Das übergeordnete Ziele ist es zu zeigen, dass auch die marxistische Theorie in ihrem Kern wachstumskritisch ist, dass diese damit einzelne Positionen im Degrowth-Diskurs theoretisch weiter fundieren kann und Marx’ Idee des Kommunismus mit einer gemeingüterbasierten Konzeption der Postwachstumsökonomie vereinbar ist. Damit macht die Arbeit von Christian Arndt den Ideen- und Erkenntnisreichtum marxistischer Theorie für den zeitgenössischen wachstumskritischen Diskurs fruchtbar.
Die Jury war zum einen sehr beeindruckt von der gründlichen theoretischen Rekonstruktion der Marx’schen Theorie entlang des Originalwerks im gleichzeitigen Bezug auf die Postwachstumsdebatte. Zum anderen war sie hoch erfreut darüber, dass und wie Christian Arndt der Kategorie der Reproduktivität einen zentralen Stellenwert in dieser Debatte gibt und damit das Augenmerk auf den Erhalt der sozialen und ökologischen Grundlagen richtet.
Die anlässlich der Preisverleihung von Jury-Mitglied Prof. Dr. Adelheid Biesecker verfasste Laudatio finden Sie hier.
Die Arbeit ist als Volltext verfügbar.

Zusammenfassung der Arbeit

Die Rechtswissenschaftlerin Rosemarie Will schrieb kürzlich über die moderne Marx-Rezeption, „das kommunistische System musste erst untergehen, damit wir frei von gängigen Antikommunismen auf Marx als denjenigen Theoretiker der modernen Gesellschaft schauen können, der sie umfassend kritisiert hat. In diesem Sinne sind heute alle, wie Derrida es sagte, seine Erben um unserer eigenen Zukunft willen.“ Will macht deutlich, was sich in den vergangenen Jahren immer stärker abzeichnet: Marx bleibt auch nach über hundert Jahren aktuell und seine Analyse des Kapitalismus ein wichtiger Fluchtpunkt für jede moderne Gesellschaftskritik. In der Masterarbeit wurde deshalb versucht, die marxistische Theorie für den Fragenkomplex der Wachstumskritik zugänglich zu machen, die ja als Gesellschaftskritik in jüngeren Jahren an Einfluss gewinnt. Dass Marx und Wachstumskritik miteinander vereinbar sind, ist keineswegs selbstverständlich – bei oberflächlicher Betrachtung etwa scheint es oft so, als wäre marxistische Kritik blind für Fragen der Ökologie, die Wachstumskritik hingegen für die strukturellen Bedingungen des Kapitalismus.
In diesem Sinne ist es das Ziel der Arbeit, diese beiden scheinbar getrennten Diskurse miteinander zu verbinden. Sie soll einen Nachweis führen, dass Wachstumskritik und marxistische Theorie nicht nur miteinander vereinbar sind, sondern sich vielmehr ergänzen können. Dazu soll sie 1.) zeigen, dass auch Marx‘ Theorie in ihrem Kern wachstumskritisch gelesen werden kann und dass 2.) damit die Positionen im Degrowth-Diskurs theoretisch fundiert werden können, indem die Wachstumsfolgen mit den strukturellen Problemen des Kapitalismus verknüpft werden. Abschließend argumentiert sie, 3.) dass Marx‘ Idee des Kommunismus mit einer modernen, gemeingüterbasierten Konzeption der Postwachstumsökonomie durchaus vereinbar sein kann und durch letztere sogar eine moderne Formulierung erhält.
Die Arbeit ist zu diesem Zweck in vier Teile gegliedert. Da der Begriff der Wachstumskritik eine Vielzahl unterschiedlicher Positionen zusammenfasst, werden im ersten Teil wachstumskritische Positionen vorgestellt und nach einer Konzeption von Konrad Ott vier idealtypischen Klassen von Degrowth (DG) zugeordnet. Sie reichen demnach von einer einfachen Kritik an Wohlstandsindikatoren (DG-1) über Forderungen nach starker (ökologischer) Nachhaltigkeit (DG-2) und nach konvivialen Lebensstilen (DG-3) bis hin zu radikal kapitalismuskritischen Strömungen (DG-4). Auf diese vier Klassen muss also die Analyse der marxistischen Theorie gespiegelt werden. Als Richtlinie der Untersuchung wurde die Frage formuliert, ob die moderateren Forderungen von Degrowth (DG-1 – DG-3) innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise umsetzbar sind oder nicht (DG-4). Um die Positionen von Degrowth dazu begrifflich besser zu fassen, wurde mit Rückgriff auf Adelheid Bieseckers und Sabine Hofmeisters Begriff der Reproduktivität das Care-Prinzip als Schlüsselbegriff zur Bewertung ökonomischer Entwicklungen aus Degrowth-Perspektive eingeführt. Die Frage heißt dann: Kann in der kapitalistischen Wirtschaftsweise die Reproduktion und Regeneration von Mensch und Natur – als Kernforderung der Wachstumskritik – gewährleistet werden?
Der zweite Teil der Arbeit beginnt mit der Rekonstruktion der marxistischen Theorie auf diese Frage der Wachstumskritik hin. Im Zentrum stehen dabei die drei Bände des Kapitals. Auf eine kurze Zusammenfassung des philosophischen Rahmens (historischer Materialismus und materialistische Dialektik) folgt eine Skizze der zentralen Kategorien des marx’schen Systems der politischen Ökonomie: Es wird der spezifische Charakter der einfachen und der kapitalistischen Warenproduktion beschrieben, die Ware Arbeit und die ursprüngliche Akkumulation als Grundvoraussetzung dieser Produktionsweise definiert, die Produktion von Mehrwert als Ziel der kapitalistischen Wirtschaft mit ihren Folgen dargestellt und schließlich die Konkurrenz und die Akkumulation als Strukturprinzipien des Kapitalismus aufgezeigt. Demnach ist der Kapitalismus eine historisch kontingente Produktionsweise, die strukturell dadurch gekennzeichnet ist, dass nicht Gebrauchswerte sondern die Vermehrung von Tauschwert oder schlicht Wert das Ziel der Produktion ist. Dies geschieht durch die Ausbeutung von Arbeit um der Produktion von Mehrwert willen. Grundvoraussetzung dafür ist, dass Menschen gezwungen sind ihre Arbeitskraft zu verkaufen, weil sie kein Eigentum an Produktionsmitteln haben. Durch die Zwangsgesetze der Konkurrenz ist ein maximaler Verwertungsdruck strukturell verankert. Die Folge ist fortwährende Akkumulation des Kapitals, als rastlose Selbstverwertung des Werts, die als der eigentliche Hintergrund des Wachstumsdrucks in kapitalistischen Gesellschaften gesehen werden kann.
Im dritten Teil folgt eine Anwendung und Erweiterung der marxistischen Theorie auf die Probleme der Wachstumskritik. Es wird gezeigt, dass der kapitalistische Prozess nach Marx weder die Regeneration von Mensch und Natur gewährleisten kann, noch ein kapitalistischer Steady State möglich ist, weil die kapitalistische Produktionsweise die einzelnen Kapitalien systematisch dazu zwingt, die Produktionsfaktoren Arbeit und Natur maximal auszubeuten, um nicht selbst unterzugehen. Darüberhinaus hat der Kapitalismus nach Marx eine Tendenz zur sozialen Ungleichheit und zur Kommodifizierung und Prekarisierung aller Lebensbereiche, was den Wirkungsbereich der strukturellen Zwänge noch erweitert. Im modernen Monopolkapitalismus internationalisiert sich schließlich die kapitalistische Produktionsweise. Dabei werden die akutesten Folgen des Verwertungsdrucks an die globale Peripherie ausgelagert, was sich in der Untergrabung der Springquellen des Reichtums, der Zerstörung von Mensch und Natur, in diesen Ländern ausdrückt. Im globalen Zentrum hingegen herrscht tendenziell Überfluss. Dort wird versucht, menschliche Bedürfnisse zu erhalten statt sie zu befriedigen. Durch die Fetischisierung und Verdinglichung der Verhältnisse wird möglicher gesellschaftlicher Protest gegen diese Entwicklungen jedoch in systemkonforme Bahnen gelenkt: Die Verhältnisse erscheinen den Menschen in den kapitalistischen Formen anders als sie eigentlich sind, mithin erscheinen menschengemachte Zustände als unabänderliche Naturzustände und somit „alternativlos“. Dadurch befinden sich kapitalistische Gesellschaften in einem Zustand der Paralyse, der sich in den Gefühlen von Heteronomie und Entfremdung ausdrückt.
In einem abschließenden Teil wird dafür argumentiert, dass Marx‘ Beschreibung des Kommunismus als der „Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt“ mit einer Postwachstumsgesellschaft vereinbar sein kann. Dabei wird darauf verwiesen, dass der Kommunismus nach Marx als idealer Endzustand recht wenig mit dem Realsozialismus zu tun hat – Marx hielt seine Konzeption des Kommunismus inhaltlich überaus vage. Viele seiner Elemente, etwa die Überwindung des Privateigentums an Produktionsmitteln oder die Bedarfsorientierung der Produktion können aber auch im Rahmen einer stärker gemeingüterbasierten Produktionsweise verwirklicht werden. Der Prozess dahin muss ebenso nicht als singuläres revolutionäres Ereignis gedacht werden, sondern kann als iterative Transformation geschehen, wobei das revolutionäre Subjekt eine Anti-Klasse sein muss, die es ablehnt sich in kapitalistischen Kategorien zu definieren. Im Rahmen einer solchen Transformation werden dann schrittweise Veränderungen der Produktionsstruktur erreicht, die in der Summe schließlich ein qualitatives Umschlagen der Verhältnisse bedeuten können.
Literatur:

  • Biesecker, Adelheid / Hofmeister, Sabine (2010): Focus: (Re)productivity. Sustainable relations both between society and nature and between the genders, in: Ecological Economics, Nr. 69, S. 1703-1711.
  • Ott, Konrad (2012): Variants of de-growth and deliberative democracy: A Habermasian proposal, in: Futures 44 (2012), S. 571-581. Online verfügbar unter: degrowth.org/wp-content/uploads/2012/11/Ott-2012.pdf
  • Will, Rosemarie (2015): Zwischen Himmel und Erde. Karl Marx über die Grundrechte in seiner Schrift Zur Judenfrage, in: Marx-Engels-Jahrbuch 2014, S. 7-31.