„Who says what is absurd? – A case study on being(s) in an alternative normality“

Corinna Burkhart, M.A.: „Who says what is absurd? – A case study on being(s) in an alternative normality“

Thema der eingereichten Masterarbeit sind Normen und die Wahrnehmung von Möglichkeiten. Diskutiert wird, wie Normen, Gesellschaft und Individuen zusammen- und voneinander abhängen. Auf Grundlage dieser Zusammenhänge diskutiere ich in der Arbeit an Hand des Beispiels Can Decreix, einem Zentrum für praktische und theoretische Experimente zum Thema Wachstumswende, wie eine alternative Normalität geschaffen werden kann. Im Text diskutiert ist, wie Normen Möglichkeiten schaffen, aber auch einschränken. In diesem Zusammenhang werden interne Dynamiken in Can Decreix und solche mit der umgebenden Wachstumsgesellschaft erklärt. Methodisch basiert die Fallstudie auf Teilnehmender Beobachtung, Leitfadeninterviews und der Analyse eigener Erfahrungen. Basierend auf diesem Material beleuchte ich, wie die Subjektivität von Individuen durch Erlebnisse in Can Decreix beeinflusst wird. Eine beobachtete Konsequenz aus den gemachten Normalitätsgrenzen – Erfahrungen ist eine Entfremdung des vorher Bekannten. Der Erkenntnis folgend, dass Normen, teils durch deren Verinnerlichung, Macht haben, diskutiere ich die Bedeutung der Entfremdung von vorher Bekanntem für einen gewollten gesellschaftlichen Wandel.
Motiviert ist die Masterarbeit durch die Überlegung, wie ein Wandel hin zu einer Postwachstumsgesellschaft gefördert werden kann. Zu Grunde liegt die Idee, dass ein Wandel nur Erfolgen kann, wenn sich materielle, organisatorische und mentale Strukturen verändern. Offen bleibt jedoch häufig die Frage nach dem Wie. Wie kann eine Veränderung von Strukturen erfolgen? Basierend auf dieser Hintergrundfrage ist die Masterarbeit an drei Forschungsfragen orientiert:

  1. Welche Rolle spielen Normen in der Beziehung zwischen Erfahrungen, Subjektivität und Gesellschaft?
  2. Wie können Normen verändert werden und was passiert, wenn sie radikal verändert werden?
  3. Welche Bedeutung kommt der Infragestellung von Normen für einen gesellschaftlichen Wandel zu?

Als theoretischer Hintergrund zur Beantwortung dieser Fragen dient zunächst das Konzept von Gesellschaft als ein Rahmen von Möglichkeiten, entwickelt mit Hilfe von Roy Bhaskars Modell zur Verbindung von Individuum und Gesellschaft (Bhaskar [1979] 2005). Zur Erklärung von Zusammenhängen zwischen Erfahrungen und Subjektivität verwende ich eine Abwandlung von Arun Agrawals Konzept „Environmentality” (Agrawal 2005). Das Thema der Entfremdung von vorher Bekanntem unterstütze ich mit Überlegungen von Alf Hornborg, formuliert als „Defamiliarization” (Hornborg 2001). Die Diskussion über die Macht von Normen unterstütze ich mit Argumenten von David Graeber (2013, 2005), Eric Wolf ([1982] 2010) und Roy Bhaskar ([1979] 2005).
Durch ausführliche Besprechung des empirischen Materials in Verbindung mit dem soeben angerissenen theoretischen Hintergrund komme ich in der Arbeit zu folgenden Antworten für die genannten Forschungsfragen:

  1. Welche Rolle spielen Normen in der Beziehung zwischen Erfahrungen, Subjektivität und Gesellschaft? In der Diskussion von herrangezogenen Literatur und Material zeigt sich, dass die Interaktion von Individuen in der Gesellschaft durch Normen geregelt ist. Diese Regelung beschreibe ich als Rahmen von Möglichkeiten. Bestimmte Praktiken und Erfahrungen sind praktisch möglich, andere nicht, auch wenn sie theoretisch möglich wären. Normen sind regulierende Kräfte in diesem Zusammenspiel und in der Aufrechterhaltung des Möglichkeitsrahmens. Handeln, welches außerhalb dieses Rahmens statt findet, führt zu einem Ausschluss aus der Gesellschaft. Der Möglichkeitsrahmen ist kein Objekt der bewussten Wahrnehmung, sondern mehr eine Struktur, die das Denken im Unbewussten einrahmt. Möglichkeiten sind jedoch nicht nur durch mentale Strukturen begrenzt, sondern sind durch menschliches Handeln auch in materieller Struktur verankert.
  2. Wie können Normen verändert werden und was passiert, wenn sie radikal verändert werden? Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass parallel zu einem Wandel von Praktiken auch ein ortsgebundener Wandel der Normalität entstehen kann. Auf Grund der in der Arbeit beschriebenen Erfahrungen der Interviewten ist erkennbar, welchen Einfluss Erlebnisse in einer alternativen Normalität haben können. Solche Normalitätsgrenzen – Erfahrungen beeinflussen die Subjektivität der Individuen, die eine solche Erfahrung machen und führen für den Betroffenen zu einer Entfremdung des vorher Bekannten. Was vorher als normal betrachtet wurde, wird plötzlich absurd. Normen werden angesehen als das, was sie sind, als von Menschen gelebte Strukturen, die menschliches Zusammenleben organisieren, und nicht als unveränderbare Naturgesetzte. Unter anderem wird der Wandel hin zu einer alternativen Gesellschaft dann als möglich wahrgenommen.
  3. Welche Bedeutung kommt der Infragestellung von Normen für einen gesellschaftlichen Wandel zu? Nimmt man die Antworten der ersten und zweiten Frage zusammen, ergibt sich, dass eine Möglichkeit der aktiven Förderung von gesellschaftlichem Wandel ist, Orte zu schaffen, an denen alternative Erfahrungen gemacht werden können. Wie bereits angesprochen, beeinflussen Erfahrungen die Subjektivität von Individuen. Innerhalb eines Möglichkeitsrahmens sind nur begrenzte Erfahrungen machbar (Frage 1). An einem Ort mit veränderter Normalität sind andere Erfahrungen möglich, welche dann ein Infragestellen der ursprünglichen Normalität provozieren (Frage 2). Wenn, wie in der Arbeit diskutiert, eine Entfremdung und Infragestellung des Gewohnten und Normalen Schritte hin zu gesellschaftlichem Wandel sind, dann ist die Schaffung von Orten wie Can Decreix, wo eine alternative Normalität erfahrbar wird, eine nützliche Strategie, um gesellschaftlichen Wandel zu fördern. Wichtig ist hier, dass die Infragestellung des Normalen durch individuelle Erfahrungen mit einer anderen Normalität erfolgen kann und unmittelbarer wirkt, als eine Infragestellung, motiviert durch theoretische Überlegungen. Die Absurdität des so genannten Normalen wird erfahrbar.

Literatur

  • Agrawal, Arun. 2005. Environmentality. Durham and London: Duke University Press.
  • Bhaskar, Roy. (1979) 2005. The Possibility of Naturalism. London and New York: Routledge.
  • Graeber, David. 2005. Fetishism as social creativity: or, Fetishes are gods in the process of construction. Anthropological Theory 5(4): 407-438.
  • Graeber, David. 2013. “A Practical Utopian’s Guide to the coming Collapse”. The Baffler, no. 22. http://www.thebaffler.com/past/practical_utopians_guide (Acccessed 6/4/2013).
  • Hornborg, Alf. 2001. The power of the Machine. Walnut Creek: Altamira Press.
  • Wolf, Eric. (1982) 2010. Europe and the People Without History. Berkeley, Los Angeles & London: University of California Press.

Corinna Burkhart
Who says what is absurd?
A case study on being(s) in an alternative normality
Ausgezeichnet mit dem Kapp-Forschungspreis für Ökologische Ökonomie 2014
104 S., VÖÖ e.V., Heidelberg, März 2015, ISBN 978-3-9811006-4-8,
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